Die letzten Entdecker by Williams Naomi J

Die letzten Entdecker by Williams Naomi J

Autor:Williams, Naomi J. [Williams, Naomi J.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
ISBN: 9783832188818
Herausgeber: Dumont
veröffentlicht: 2015-11-21T16:00:00+00:00


8

EINE MONOGRAFIE ÜBER PARASITEN

Macao, Januar 1787

Sie hielten es nicht einmal für nötig, ihn mit seinem richtigen Namen anzusprechen, als sie kamen, um ihn abzuführen.

»Monsieur de Lamanon?«

»Nein, ich heiße Lamartinière.« Oh, wie viele Male hatte er sie in diesen anderthalb Jahren schon korrigiert? Sogar Kapitän de Langle hatte ihre Namen ein paarmal verwechselt. Lamartinière sah sich verbittert in dem getäfelten Vortragsraum nach jemandem um, dessen Gesicht Verständnis signalisierte, jedoch vergeblich. Andererseits hatten seine Zuhörer ihn ja erst kurz zuvor kennengelernt: eine Handvoll junger Händler und Angestellte des französischen Konsulats, denen ihre Vorgesetzten befohlen hatten, in ihrer Mittagspause dem Vortrag eines Naturforschers auf der Durchreise über Meeresparasiten zu lauschen. Nun, da er unterbrochen worden war, wirkten sie mit einem Mal ein wenig interessierter als während der vergangenen fünfzehn Minuten. »La-mar-ti-ni-ère«, wiederholte er gegenüber dem jungen Offizier, der ihn Lamanon genannt hatte.

»Ach so, ja«, erwiderte der Offizier, dem es kein bisschen peinlich war und der sich auch nicht entschuldigte, als wäre Lamartinières Beharren auf seinem richtigen Namen eine Schrulle, der man mit Nachsicht begegnen müsste. »Wir müssen Sie bitten, mit uns zu kommen, Monsieur.«

»Warum? Was ist passiert?« Verschiedene Schreckensszenarien geisterten ihm durch den Kopf: seine sich an Bord befindlichen Sammlungen verschwunden oder gestohlen; der Kapitän tot, oder gar der Kommandant; eine Kriegserklärung – gegen Portugal, Spanien, nein, gegen England natürlich, wenn, dann wäre es gegen England; das Eintreffen von Briefen aus Frankreich, endlich, aber mit schlechten Nachrichten, seine Mutter …

»Nichts ist passiert, Monsieur«, sagte der Offizier mit einem Lächeln, das weder beschwichtigend noch freundlich war. »Aber wir müssen Sie auf Ihr Schiff zurückbringen.«

»Auf wessen Befehl?« Er trat einen Schritt zurück und musterte die kleine Abordnung vor ihm – den jungen Offizier, dessen rundes Gesicht er kannte, nicht aber dessen Namen, und die zwei bewaffneten und nervös wirkenden Marinesoldaten, die ihm überhaupt nicht bekannt vorkamen. »Sie sind doch gar nicht von der Astrolabe.«

»Nein, wir sind von der Boussole«, erwiderte der Offizier. »Ein Befehl des Kommandanten.«

Lamartinière spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. »Sie nehmen mich fest?«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen, Monsieur, jedenfalls müssen wir Sie jetzt mitnehmen.«

»Sind Sie sicher, dass Sie mich meinen und nicht Lamanon?«

»Wir nehmen Sie beide mit.«

»Uns beide?« Das ungute Gefühl, das schon seit dem frühen Morgen an ihm nagte und das er zu verdrängen versucht hatte, verwandelte sich in ausgewachsene Panik. Wieder ließ er den Blick über sein Publikum schweifen, die zehn Männer, die um einen großen Mahagonitisch herumsaßen. Einige sahen ihn mit Belustigung an, in die sich Bedauern mischte; andere hatten den Blick gesenkt, weil ihnen die sich vor ihren Augen abspielende Szene peinlich war; wieder andere betrachteten ihn mit kaum verhohlener Schadenfreude, begeistert, endlich einmal etwas Ungewöhnliches zu erleben. Der Konsul wiederum, Monsieur Vieillard, ein rotgesichtiger, schwer atmender Mann, der während des Vortrags eingenickt war, stand mühsam auf und schüttelte seinem Gast die Hand, als handelte es sich um einen ganz normalen Abschied. »Vielen Dank für Ihre erhellenden Erläuterungen zu …« Er unterbrach sich – offenbar war ihm der Gegenstand der erhellenden Erläuterungen entfallen. »Na ja, also«, sagte er keuchend.



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